Blog #3: Gibt es katholische „Sekten“?
Merkmale von Sekten
Über Sekten wusste ich in meiner Jugend nicht viel, auf jeden Fall hielt ich sie für gefährliche Gruppierungen, die außerhalb der Kirche verortet sind, die eigenen Mitglieder manipulieren und vor denen es sich zu hüten galt. Nein, in eine Sekte würde ich nie gehen!
Als ich nach meinem Austritt aus der Gemeinschaft einmal interessehalber über Sekten googelte, war ich erschrocken, denn viele dieser Merkmale kamen mir in ähnlicher Weise durchaus bekannt vor.
Als Merkmale von Sekten waren hier zum Beispiel aufgeführt:
- Es gibt eine charismatische Führungspersönlichkeit, deren Aussagen als verbindlich gelten und somit nicht (weiter) hinterfragt werden.
- Die Gruppe hat ein „rettendes Konzept“ für sich. Nur die Mitglieder kommen demnach in den Genuss wahren Friedens und wirklichen Glücks.
- Die Gruppe hat ein Elitebewusstsein.
- Sie grenzt sich bewusst von anderen Gruppen ab.
- Die Außenwelt und das bisherige Leben werden abgewertet.
- Es herrscht ein „eschatologisches Weltbild“: Themen wie Weltuntergang und andere Endzeitvorstellungen rücken immer wieder in den Mittelpunkt.
- Die Themenauswahl ist sehr begrenzt: Es wird immer über das gleiche Thema gesprochen. Auf diese Weise wird dieses überbetont.
- Die Mitglieder werden zeitlich sehr stark beansprucht.
War ich etwa in eine Art „Sekte“ geraten, und gibt es solche Phänomene überhaupt innerhalb der Kirche?
Keine einheitliche Definition
Der Begriff „Sekte“ kommt aus dem Lateinischen („secta“) und bedeutet so viel wie Schule, Lehre oder Partei. Die häufig verwendete Ableitung von lateinisch „secare“ (trennen, abschneiden) ist etymologisch nicht korrekt, hat aber die umgangssprachliche Verwendung des Wortes Sekte stark geprägt.
Es gibt verschiedenste Definitionen des Sektenbegriffs. Häufig wird der Begriff plakativ verurteilt und unkritisch benützt. Daher ist es sinnvoll, auf den Stempel „Sekte“ zu verzichten. Es bestehen aber durchaus Gruppen und Ideologien, die für ihre Mitglieder bzw. Anhänger zerstörerische Impulse implizieren.
Sr. Katharina Kluitmann postuliert in ihrem Statement über geistlichen Missbrauch, dass sich spirituell missbrauchende Gemeinschaften durchaus in diesem Feld befänden, auch wenn der Anschein nach außen hin noch so rechtgläubig erscheine. Die Lehre wirke zwar sehr „katholisch“, sei es aber in Wirklichkeit nicht, da zumindest das katholische „Sowohl–als-Auch“ vernachlässigt werde.
Sowohl–als-Auch
Das „Sowohl–als-Auch“ steht dem in missbräuchlichen Strukturen üblichen schwarz-weiß-Denken diametral gegenüber. Gerade die Weite des Denkens, in dem die Verschiedenartigkeit der Menschen mit ihren vielfältigen Meinungen und Vorstellungen innerhalb des einen Glaubens Platz findet, macht das kirchliche Denken aus.
Papst Franziskus erklärte in einem Treffen mit seiner Kommunikationsabteilung, dass Gemeinschaft niemals mit Uniformität gleichzusetzen sei. Vielmehr komme es auf die Fähigkeit an, sehr unterschiedliche Realitäten zusammenzuhalten. In diesem Sinne könne Dissens durchaus Bestandteil von Gemeinschaft sein. Kommunikation müsse immer Meinungsvielfalt ermöglichen.
Zugleich warnte der Papst vor dem Fundamentalismus, der unter dem Deckmantel der Wahrheitstreue schließlich Spaltung und Zwietracht verbreite. Diese Fehlentwicklungen richteten in der Kommunikation am Ende viel Schaden an, anstatt Gutes zu bewirken.
Meinungsvielfalt und die Darstellung unterschiedlicher Positionen sind also etwas grundlegend Kirchliches.
Auflösung geistlicher Gemeinschaften
Sektenartige Strukturen und spiritueller Druck werden immer wieder von ehemaligen Mitgliedern geistlicher Gemeinschaft angeprangert. Es gibt Gründungs- oder Leitungspersönlichkeiten, die weder ein gutes pastorales Verständnis, noch ein Bewusstsein dafür haben, wo die Gefahren lauern. Diese ziehen alles aus ihrer persönlichen Spiritualität und wenden das, was ihnen guttut, umstandslos und recht ahnungslos bei anderen an. Dadurch sind Missbrauchssituationen vorprogrammiert.
Spirituelle Manipulation und das Abhängigmachen von Mitgliedern führte in Deutschland in den vergangenen Monaten sogar zur Auflösung von zwei sehr aktiven geistlichen Gemeinschaften: „Totus tuus“ im Bistum Münster und die „Katholische Integrierte Gemeinde“ im Erzbistum München und Freising.
Gesundheitliche Schäden der Mitglieder bis hin zu schweren psychischen oder psychosomatischen Beschwerden, zeigen die Ernsthaftigkeit der Problematik auf. Daher ist es eine wichtige Aufgabe der Kirchen, auch in ihren eigenen Reihen sektenartige Strukturen aufzudecken und sich für eine gesunde und ausgewogene Spiritualität einzusetzen.